Tuesday, January 31, 2017

Berlin Breitscheidplatz: das Dashcam-Video und der Trick mit der Extrarunde





Zwei Tage nach dem Anschlag ging eine wenig beachtete, aber von höchster Stelle autorisierte Meldung durch die Medien: BKA-Chef Holger Münch teilte dem Innenausschuss des Bundestages in einer nicht-öffentlichen Sitzung mit, dass der Sattelschlepper den Tatort Breitscheidplatz erst einmal umrundet hatte, bevor er auf den Weihnachtsmarkt fuhr. Die Auswertung der GPS-Daten hätte das ergeben.

Diese Nachricht ist geeignet, Licht in das Rätsel des sogenannten Dashcam-Videos zu bringen, das ja angeblich den LKW unmittelbar vor der Auffahrt auf den Platz zeigt und u.a. von der Bild-Zeitung unters Volk gestreut wurde. Ausser dem Umstand, dass das Video in der Mitte einen Schnitt unbekannter Länge aufweist, gibt es zwei schwerwiegende Probleme:

1 - Die Geschwindigkeit des LKW, etwa 60 km/h, ist viel zu hoch, um den engen Rechts-Links-Schlenker über den Markt ausführen zu können. Die Fliehkräfte hätten ihn wahrscheinlich umkippen lassen und die Schäden an den Buden wären deutlich grösser ausgefallen. Ausserdem wäre der LKW, Bremsautomatik hin oder her, nicht schon nach 50 Metern zum Stehen gekommen.

2 - Die Uhr an der Gedächtniskirche, die kurz zu sehen ist, zeigt genau 20:00 Uhr an. (Diese Beobachtung verdanken wir der youtube-Bloggerin Klugschieterin).



Das steht im Widerspruch zu den offiziellen Angaben, dass bei der Polizei die ersten Notrufe um 20:02 eingingen. Denn die erfolgten höchstens 10 bis 20 Sekunden nach dem Halt des LKW: bekanntlich informierten mehrere Anrufer die Polizei über den in Richtung Bahnhof Zoo flüchtenden Fahrer. Spätestens nach 20 Sekunden dürfte er den Hardenbergplatz erreicht haben und damit ausser Sichtweite der Augenzeugen gewesen sein.

Auf welcher Strecke der LKW die vorgezogene Runde fuhr, liegt bei einem Blick auf den Stadtplan auf der Hand, lediglich das letzte Stück bedarf weiterer Erörterung: Budapester Str. - Nürnberger Str. - Tauentzienstr. - Kurfürstendamm - Joachimsthaler Str. - Hardenbergstr./Kantstr.
Diese Karte zeigt die Version mit Kantstrasse:


Daraus ergibt sich ganz zwanglos eine Lösung des Dashcam-Rätsels.

Der LKW erreichte den Breitscheidplatz erstmals via Hardenbergstrasse um 20:00 Uhr, drehte seine Extrarunde, kam um 20:02 wieder an der Ecke Hardenbergstr./Kantstr./Budapester Str an und fuhr erst dann auf den Weihnachtsmarkt. Die gezeigte Fahrtstrecke ist etwa 1,5 km lang. Berücksichtigt man, dass die ersten Notrufe erst um 20:02:30 oder gar 20:02:45 eingegangen sein könnten (bei Abrundung auf die volle Minute), und dass die Uhr im Dashcam-Video möglicherweise auf einigen Sekunden vor 20:00 steht, hätte der LKW bis zu drei Minuten Zeit für die Runde gehabt, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h entspricht. Das Manöver ist also problemlos machbar.

Das Dashcam-Video zerfällt demnach in zwei Teile: der Teil vor dem Schnitt, mit dem vorbeirasenden LKW, wurde etwa um 20:00 Uhr aufgenommen, der zweite Teil etwa um 20:02.

Nun zur Frage, ob der LKW die Kantstrasse nahm oder erst am Bahnhof Zoo rechts in die Hardenbergstrasse einbog. Die ersten Meldungen nach dem Anschlag besagen ausnahmslos, dass der LKW von der Kantstrasse kommend auf den Weihnachtsmarkt fuhr. Die Hardenbergstrasse kam erst am Tag danach ins Spiel und schien zwei Tage später durch das Dashcam-Video eine unwiderlegbare Bestätigung erfahren zu haben.

Die Extrarunde kann also nicht nur die Ungereimtheiten des Dashcam-Videos schlüssig erklären, sondern auch die frühen Meldungen über die Fahrtroute. Weitere Überlegungen lassen es sogar als hochplausibel erscheinen, dass der LKW von der Kantstrasse kam:

Das Dashcam-Video ist offensichtlich kein Zufall, sondern in Zusammenarbeit mit dem LKW-Fahrer entstanden. Es diente ausschliesslich dem Narrativ, dass der LKW mit hoher Geschwindigkeit auf den Markt raste. Von der Kantstrasse kommend musste der LKW hingegen eine scharfe Rechtskurve hinlegen und hätte seine Geschwindigkeit auf etwa 20 km/h vermindern müssen. Bei dieser Geschwindigkeit hätten sich die allermeisten Menschen auf dem Weihnachtsmarkt rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Verletzte oder gar Tote hätte es, wenn überhaupt, nur in ganz geringer Zahl gegeben.

Die Fake News "Dashcam" wurde der Nachrichtenagentur Reuters zugespielt und von dieser am 22.12. 2016 veröffentlicht. In Deutschland wurde es vornehmlich von der Bild-Zeitung verbreitet, aber praktisch alle Medien hängten sich an den Zug an, ohne den fragwürdigen Charakter des Videos, etwa den Schnitt in der Mitte, gebührend zu erwähnen.

Mit der Erkenntnis, dass der LKW, vermutlich von der Kantstrasse kommend, recht langsam auf den Weihnachtsmarkt auffuhr, ergeben sich Fragen und Forderungen an die Behörden:

-  Veröffentlichung der GPS-Daten des LKW und Skizzierung des Fahrtwegs inklusive Extrarunde;
-  Stellungnahme dazu, dass dem Dashcam-Video nicht schon bei Erscheinen widersprochen und es als Fake News entlarvt wurde;
-  Bekanntgabe der Geschwindigkeit des LKWs bei Auffahrt auf den Weihnachtsmarkt;
-  Stellungnahme zu der Frage, wie ein derart langsamer LKW eine derart hohe Anzahl von Menschen töten und verletzen konnte.